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Bei Schamanen in Peru

Titicacasee, Sonneninsel

Andere Länder - andere Sitten - andere Rituale. Was David Luczyn bei einer Reise zu Kult- und Kraftplätzen in Peru und Bolivien mit Schamanen erlebte, erzählt er hier in seinem interessanten Erfahrungsbericht.


Auf einer Südamerikareise hatte ich die Gelegenheit, mehrfach an einheimischen Ritualen mit örtlichen Schamanen teilzunehmen. Ich war mit einer Gruppe von 12 Teilnehmern (überwiegend Amerikanern) unterwegs zwischen Cusco, der 4000m hochgelegenen alten Hauptstadt Perus und Macchu Pichu, der sagenhaften, gut erhaltenen Ruinenstadt der Inkas.

Das erste Ritual fand in einem Hotel am Fuße des Macchu Pichu statt und war ein Heilungsritual. Durch eine Teilnehmerin meiner Reisegruppe hatte ich die Möglichkeit, an diesem speziellen Ritual teilzunehmen. Cucho, ein etwa 35jähriger Indio mit langen Haaren und gepflegter Kleidung, wartete in der Hotellobby und ging mit uns gleich auf Karin´s Hotelzimmer. Ich war sehr neugierig und Karin sehr nervös, während Cucho sie nach dem Grund ihres Anliegens fragte. Nachdem sie ihm ihre Symptome erzählt hatte, packte er allerlei seltsame Utensilien aus seinem Rucksack aus und bat Karin, sich auf das Bett zu legen. Ich war skeptisch und beobachtete alles, was Cucho tat, sehr genau. Er war sympathisch, wirkte aber etwas verlegen und unsicher. Das sollte sich jedoch schnell ändern und bald war ich es, der unsicher wurde.

Schamana TiticacaseeCucho bat um ein Glas Wasser, zündete einige Räucherstäbchen an und begann mit seiner Arbeit. Zuerst glitt er mit seinen Händen Im Abstand von einigen Zentimetern über Karin´s schwer atmenden Körper. An einigen Stellen wie Knie, Brust und Füße verweilt er etwas länger, als ob er (mit geschlossenen Augen) etwas nachspürte. Dann nahm er einen großen Bergkristall, fuhr ebenfalls den Körper entlang, machte an manchen Stellen seltsame Zeichen oder Kreise, um dann den Kristall ins Wasser zu tauchen und die vorher auf-genommene kranke Energie zum Fenster hinauszuschleudern (das er immer gleich wieder sorgfältig schloß). Cucho arbeitete völlig schwei-gend, und obwohl Karin die Augen zu hatte, stöhnte sie hin und wieder laut auf. Ich weiß nicht, ob es das Rauschen des Urubamba-Flusses, das monotone Quaken der Frösche oder das konzentrierte Arbeiten des Schamanen war oder alles zusammen, das mich wie in eine Trance sinken ließ: Als ich wieder zu mir kam, bewegte Cucho einen handgroßen Heilstein über Karins Körper, und sie begann erst leise, dann immer deutlicher zu weinen. Nach etwa 10 Minuten ging er zum Tisch und packte eine Tüte mit Coca-Blättern aus. Er nahm eine Handvoll, führte sie an die Stirn, murmelte ein paar unverständliche Worte und schleuderte sie dann locker auf den Tisch. Mit nachdenklichen und neugierigen Blicken studierte er das Orakel, und dann geschah etwas Seltsames. Er fuhr mehrmals mit der Hand über die Blätter, als ob er sich einen imaginären Duft zufächerte, und gleichzeitig steigerte sich Karins Weinen zu einem lauten Schluchzen. Hörte er auf, beruhigte sie sich. Fing er wieder an, begann sie laut zu schluchzen. Auch das dauerte ca. 10 Minuten, in denen Cucho Karin kaum Beachtung schenkte und Karin ihn nicht sehen konnte.

Ich war fasziniert und berührt. Ohne Reden und ohne Körperkontakt hatte er bei der emotional relativ verschlossenen Karin, die nach eigenen Aussagen nur selten weint, eine starke emotionale Katharsis bewirkt. Kurz darauf erläuterte er in gebrochenem Englisch seine "Diagnose" und seine Heilempfehlungen. Ihr Problem rühre einerseits von ihren Fußknöcheln her und andererseits von ihrem Kopf. Karin bestätigte, daß sie am Knöchel operiert und genagelt sei. Cucho gab ihr einen flachen Heilstein von Machu Piccu und empfahl ihr, sich für längere Zeit Orangenscheiben mit einer Mullbinde für die Nacht rund um den Kopf zu befestigen, dazu noch ein Öl zum Einreiben und eine Essenz aus "Katzenklauen" (catclow), die wir morgen in seinem Büro abholen sollten. Wir stutzten beide. Katzenklauenessenz? Das klang wirklich sehr schamanisch. Cucho lachte ob unserer erstaunten Gesichter und erklärte, daß dies der Name einer einheimischen Heilpflanze sei.

Sichtlich erleichtert bedankte Karen sich und gab Cucho eine Spende von 50 Soles (etwa 35 DM). Bevor dieser dann in der tropischen Nacht verschwand, schüttete er noch das Glas mit dem Wasser zum Fenster hinaus und packte alle seine Utensilien ein. Während draußen weiter Grillen und Frösche um die Wette tönten, erzählte mir Karin, was sie beim Ritual erlebt hatte.

Als Cucho mit den Cocablättern beschäftigt war und sie so zu weinen anfing, hatte sie eine überwältigende Vision eines vergangenen Lebens aus der Inkazeit. Sie mußte mitansehen wie vor ihren Augen Kinder von Kriegern umgebracht wurden für die sie verantwortlich war, bis sie als letzte auch noch getötet wurde. Diese furchtbare Erfahrung hatte bis ins jetzige Leben ihre Spuren hinterlassen und sie zu einer zwanghaften Helferin für Hilflose werden lassen, ob sie wollte, konnte oder nicht. Dabei hatte sie sich dermaßen selbst vernachlässigt, daß sie darüber schwer krank geworden war. Durch diese Erfahrung und die Einsicht, daß sie keine Schuld (mehr) trug, konnte sie eine schwere Last loslassen und ihre Kopfschmerzen waren schlagartig besser.

Karins Beispiel zeigt, wie wichtig bei einem Ritual Offenheit, Vertrauen und Hingabe sind. Sie müssen nicht blind glauben und ihren Verstand zu Hause lassen, aber bei einem Vollblutskeptiker sind die Heilchancen natürlich geringer, als bei jemandem, der sich Neuem öffnen und hingeben kann. Der Glaube, daß der Körper (mit Hilfe ihres Unterbewußtseins) wundersame Dinge vollbringen kann, wenn er den richtigen Anstoß erhält, ist in jedem Falle hilfreich. Im Rahmen eines Rituals erhält unser Unterbewußtsein sehr subtile, sinnliche und bildhafte Impulse, die unser Kopf gar nicht rational verstehen muß. Er muß sie nur zulassen und das innere Kind staunen und mitmachen lassen.

Auf der heiligen Sonneninsel im Titicacasee

TiticacaseeSo war es auch bei folgendem Ritual, das wir mit einem Kallawaya-Schamanen auf der heiligen Sonneninsel im Titicacasee erleben durften. Faustino erwartete uns bereits an der alte Inkaruine einige hundert Meter oberhalb einer magisch schönen Bucht. Überhaupt habe ich selten so eine malerische Insel gesehen. Keine Hotels, keine Autos oder sonstigen zivilisatorischen Geräusche, keine Touristen - nur eine kleines Dorf mit einheimischen Indios und einem bescheidenen Cafe.

Der alte Altarstein, um den herum wir Platz nehmen steht wohl schon mindestens 500 Jahre hier. Faustino ist in seiner bunten traditionellen Tracht, einem Poncho und einer Kappe gekleidet und hat bereits alles vorbereitet. Auf dem Tisch ist auf einem quadratischen Blatt Papier kunstvoll mit allerlei kuriosen Dingen ein Mandala ausgelegt. Zuunterst liegen die obligatorischen Cocablätter und dann neben und übereinander allerlei Samen und Nüsse, Zucker, Mais, Kekse, Süßigkeiten, Lamafett, eine Kondorfeder, Watte und als Krönung Konfetti und Glitter. Den sonst noch üblichen Lamafötus hat er wohl mit Rücksicht auf die sensiblen Gringos weggelassen. Die Süßigkeiten sind wichtig zur Besänftigung der Apus, der Berggeister und der Luftgeister, damit sie die Gebete und Wünsche, die wir nun in die Cocablätter hineingeben auch durchlassen. Dazu überreicht uns Faustino jeweils drei Blätter und fordert uns auf für Freunde, Verwandte und für den Frieden zu beten. Dann sammelt er die Blätter wieder ein und legt sie ordentlich zu den übrigen Sachen dazu. Er selbst spricht nun ein Gebet in der Landessprache Quechua und bezieht dabei jeden von uns mit seinem Namen mit ein.

Dann sprengelt er mit einer Blume, die er in einen Kelch mit Rotwein taucht, diesen über das Opfer und übereicht uns einzeln Kelch und Blume. Jeder kann so für einen kurzen Moment in Andacht gehen, sich auf seine Wünsche und Gebete konzentrieren und diese auf die Opfergaben spritzen. Als wir alle fertig sind, wird das Ganze feierlich eingepackt, zugeschnürt und einem in der Nähe vorbereitetem Feuer übergeben. Wird alles restlos verbrannt, dann ist das Opfer angenommen, erklärt uns Faustino. Mit Spannung warten wir und mit Erleichterung nehmen wir die totale Umwandlung unseres Wunschpaketes in Asche zur Kenntnis. Wie zur Bestätigung fliegt ein Ascheteil des Papieres weit über unsere Köpfe hinweg Richtung Meer und nimmt symbolisch unsere Gebete mit.

In diesem einfachen Ritual steckt viel Weisheit und Kraft. Man ist mit hoher Aufmerksamkeit präsent, man sammelt seine Energie und konzentriert sie in einen Moment, man überlegt sich vorher genau was man will und man vertraut die Ausführung einer höheren Macht an. All das sind wichtige Zutaten zur Wunschrealisierung. Sowohl die Hunaschamanen von Hawai als auch andere Kulturen haben sich ähnlicher Systeme bedient. Und das Erstaunliche ist: es wirkt verblüffend oft. Wir schlauen Westler wissen natürlich, daß es nicht Geister und Engel sind, die als billige Helfer sich für uns faule Menschen abrackern, aber nicht alle wissen, daß unser Unterbewußtsein auf diese Weise funktioniert und vieles auf seine Weise registriert und einleitet von dem wir bewußt gar keine Kenntnis haben. (Vielleicht spielt aber auch ab und zu ein kleiner Geisthelfer mit. Wer weiß?)

 

Dieser Artikel kann nach Bedarf umgebaut, verkürzt oder verlängert werden. Bilder sind vorhanden. Einfach anfragen:

per E-Mail: DaLuczyn at aol.com

per Tel: 069/626493

Titicacasee, Sonneninsel © Luczyn

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vor dem Ritual

Titicacasee, Sonneninsel © Luczyn

Ankunft auf der Sonneninsel nach 2 St. Bootsfahrt

Titicacasee, Sonneninsel © Luczyn

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